Meeresfische im Kuhstall?

DIE RHEINPFALZ am SONNTAG, 27.06.2021

Aqua­kul­tur-Pio­nie­re wol­len die Fisch­zucht revo­lu­tio­nie­ren – schlüs­sel­fer­tig und weit weg vom Oze­an. Im Saar­land gibt es bereits Anla­gen, eine in der Pfalz ist geplant – Ein­stei­ger­pro­duk­te für Bran­chen­frem­de, wie die Macher betonen. 

 

Es riecht ein klei­nes biss­chen nach Küs­te im ehe­ma­li­gen Saar­brü­cker Eisen­bahn-Aus­bes­se­rungs­werk. Zwi­schen Möbel­pols­te­rei und Metall­be­trieb, hin­ter einer Metall­tür und Foli­en­schleu­sen aus dickem Kunst­stoff, schwim­men in einem L‑förmigen Pool in aus­ran­gier­ten, blitz­blan­ken Schiffs­con­tai­nern flin­ke Schwär­me von Wolfs­bar­schen. Ganz klei­ne Exem­pla­re, gera­de vier Gramm schwer, haben die ers­te Abtei­lung des 1,30 Meter tie­fen Foli­en­be­ckens in fri­schem Blau für sich. Die Älte­ren schwim­men nach Grö­ßen getrennt hin­ter was­ser­durch­läs­si­gen Zwi­schen­wän­den. Das Was­ser ist Saar­brü­cker Lei­tungs­was­ser, im Ide­al­fall 23 Grad warm und ange­rei­chert mit Mine­ra­li­en, die dem Meer­salz nahe­kom­men. Pum­pen sor­gen für Strö­mung und Was­ser­kreis­lauf. „Die Jung­fi­sche kom­men aus Frank­reich, das Fut­ter aus den Nie­der­lan­den“, erzählt Caro­lin Ackermann.

Mit zwei Mit­strei­tern hat Acker­mann 2018 die Fir­ma Sea­wa­ter Cubes gegrün­det. Ein Jahr spä­ter gab es in Saar­brü­cken-Bur­bach – einem Stück der saar­län­di­schen Haupt­stadt, in dem ein Inno­va­ti­ons­cam­pus die abge­wirt­schaf­te­te Schwer­indus­trie abge­löst hat –, zum ers­ten Mal fang­fri­schen Wolfs­barsch wie an der Atlan­tik­küs­te. Her­an­ge­wach­sen waren die Tie­re aber eben nicht im Meer, son­dern in drei recy­cel­ten Schiffs­con­tai­nern in einer der Hal­len des frü­he­ren Eisen­bahn­werks, das heu­te ein Stand­ort für Hand­werk und Gewer­be ist.

Kreis­lauf­sys­tem im Con­tai­ner
Die­ser Pro­to­typ einer Zucht­an­la­ge für die regio­na­le Pro­duk­ti­on von fri­schem See­fisch nah beim End­ver­brau­cher ist inzwi­schen zur Klein­se­ri­en­rei­fe gelangt: Ein „Sea­wa­ter Cube“ ist ein Kreis­lauf­sys­tem im Con­tai­ner mit 100 Qua­drat­me­tern Stell­flä­che und, laut den Machern, „ein Ein­stei­ger­pro­dukt für Bran­chen­frem­de – art­ver­träg­lich, nach­hal­tig, betriebs­si­cher, voll auto­ma­ti­siert und ver­netzt“. „Land­wir­te sind eine poten­zi­el­le Ziel­grup­pe“, sagt Acker­mann. Drei­mal pro Stun­de durch­läuft jeder Trop­fen Was­ser in einem Kreis­lauf ins­ge­samt vier bio­lo­gi­sche und mecha­ni­sche Fil­ter, die Fut­ter­rück­stän­de und Aus­schei­dun­gen der Fische abbau­en. Herz­stück ist ein gro­ßer Schalt­schrank neben dem Ein­gang. Dort sitzt die smar­te Elek­tro­nik, die abge­stimmt auf die jewei­li­ge Fisch­art in der Zucht­an­la­ge alles über­wacht und voll­au­to­ma­tisch inner­halb vor­ge­ge­be­ner Richt­wer­te steu­ert: Sau­er­stoff­ge­halt, Tem­pe­ra­tur, pH-Wert, Salz­ge­halt, Fütterung.

„Der Bedie­ner wirkt durch die­sen digi­ta­li­sier­ten Anla­gen­be­trieb mehr kon­trol­lie­rend als regu­lie­rend ein“, sagt Acker­mann. „Nor­ma­le Abwei­chun­gen in den Para­me­tern behebt die Anla­ge selbst­stän­dig, bei schwe­ren Feh­lern ruft sie über eine App an.“ 500 Liter fri­sches Was­ser pro Tag wer­den zuge­führt, der Strom­ver­brauch ent­spricht laut Acker­mann „zwei Fönen, die rund um die Uhr laufen“.

Platz für 21.000 Wolfs­bar­sche
Der küchen­fer­tig ange­bo­te­ne Zucht­fisch aus dem „Cube“ wird online bestellt, am Wochen­en­de kann abge­holt wer­den. „Wir pro­du­zie­ren kei­nen Aus­schuss“, erläu­tert die Geschäfts­füh­re­rin. „Was geschlach­tet wird, ist bereits ver­kauft.“ 21.000 Wolfs­bar­sche kön­nen im künst­li­chen Meer schwim­men, sie lan­den auf Tel­lern von Restau­rants und Pri­vat­kun­den im Groß­raum Saar­brü­cken. Das Kilo kos­tet 30 Euro. Eine Absatz­del­le gab es, pan­de­mie­be­dingt: „Kaum hat­ten wir die Restau­rants akqui­riert, muss­ten sie auch schon schlie­ßen“, blickt Acker­mann zurück. Noch liegt der Schwer­punkt auf Mit­tel­meer­klas­si­kern wie Wolfs­barsch und Dora­de. Doch auch eini­ge pazi­fi­sche und tro­pi­sche Arten wie King­fi­sh und Red Snap­per eig­nen sich. Und Garnelen.

Stand­ort in der Pfalz im Gespräch
Den­noch: „Beim Anla­gen­ver­trieb brau­chen wir mehr Geduld als erwar­tet“, räumt die Betriebs­wir­tin ein. 2022 sol­len Pilot­an­la­gen in Nord­rhein-West­fa­len und Bay­ern star­ten – und in der Pfalz. Rich­tung Rhein wol­len die Grün­der von der Saar selbst aktiv wer­den. „Uns ist ein Stand­ort ange­bo­ten wor­den.“ Es han­de­le sich um ein Netz­werk aus Gas­tro­be­trie­ben und Wein­gut. Mehr Details gibt es nicht. Nur, dass die Erfah­rung gezeigt hät­te, dass der Fisch im Kuh­stall zwar grund­sätz­lich ein guter Neben­er­werb sein kön­ne, die Ver­mark­tung aber gesi­chert sein müs­se. Immer­hin wach­sen in einem lau­fen­den „Cube“ um die 50 Fische pro Tag zur Schlacht­rei­fe heran.

Aktu­ell stammt der Welt­ernäh­rungs­or­ga­ni­sa­ti­on zufol­ge jeder zwei­te Spei­se­fisch aus Aqua­kul­tur. Die Bran­che rech­net mit Zuwachs. Doch meist sind die Anla­gen inten­siv bewirt­schaf­te­te Netz­ge­he­ge im Meer. Die ste­hen in der Kri­tik, weil die Natur an den kon­zen­trier­ten Aus­schei­dun­gen der Zucht­fi­sche in den Käfi­gen, den Fut­ter­men­gen und den in der Mas­sen­hal­tung not­wen­di­gen Medi­ka­men­ten kaputt geht.

„Ozea­ne kön­nen Bedarf nicht decken“
„Die Ozea­ne kön­nen den stei­gen­den Bedarf einer wach­sen­den Bevöl­ke­rung nicht decken, sie haben genug damit zu tun, sich an den Kli­ma­wan­del anzu­pas­sen. Die Lösung liegt in ent­kop­pel­ten Sys­te­men“, sagt auch Uwe Wal­ler, Pro­fes­sor an der Hoch­schu­le für Tech­nik und Wirt­schaft des Saar­lan­des. Von Haus aus Mee­res­bio­lo­ge befasst sich Wal­ler im Fach­be­reich Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten mit Bio­pro­zess­tech­nik und Aqua­kul­tur. Er ist auch der Men­tor der drei Bur­ba­cher Pio­nie­re. Caro­lin Acker­mann fügt hin­zu: „Der Zucht­fisch aus dem Meer ist nur so bil­lig, weil die Kos­ten für das öko­lo­gi­sche Desas­ter nicht ein­ge­rech­net sind. Und gäbe es so etwas wie eine CO2-Abga­be auf Lebens­mit­tel, sähe die Rech­nung noch mal ganz anders aus.“

„Mee­res­fisch­zucht Völk­lin­gen“ endet im Cha­os
Nur fünf Kilo­me­ter von den Bur­ba­cher Wolfs­bar­schen ent­fernt kann man ein Lied von den Pro­ble­men mit der Ver­mark­tung von sau­ber und damit teu­er gezüch­te­ten Spei­se­fi­schen sin­gen. 2013 eröff­ne­te auf einem frü­he­ren Koke­rei­ge­län­de die „Mee­res­fisch­zucht Völk­lin­gen“, eine 100-pro­zen­ti­ge Toch­ter der Stadt, mit 90.000 Wolfs­bar­schen und 4000 Stö­ren. Jähr­lich soll­ten 500 bis 600 Ton­nen Fisch erzeugt und unter ande­rem per Zug auf den Pari­ser Groß­markt ver­schickt wer­den. Die als welt­weit ers­te Anla­ge zur kom­mer­zi­el­len Pro­duk­ti­on von See­fi­schen ohne Zugang zu natür­li­chem Meer­was­ser bewor­be­ne Anla­ge ende­te im Chaos.

Nur zehn Pro­zent der gezüch­te­ten Fische konn­ten ver­kauft wer­den, die Schul­den klet­ter­ten auf über 20 Mil­lio­nen, es kam zu einem Fisch­ster­ben, im Saar-Land­tag tag­te ein Unter­su­chungs­aus­schuss. 2015 über­nah­men schließ­lich Schwei­zer Geld­ge­ber die Anla­ge mit acht Becken mit 10.000 Kubik­me­tern Salz­was­ser und nann­ten den Neu­start „Fresh Völk­lin­gen“. Man setzt jetzt auf die Gelb­schwanz­ma­kre­le, Han­dels­na­me King­fi­sh, Grö­ßen­ord­nung etwa zehn Ton­nen im Monat. 13 Beschäf­tig­te arbei­ten in Vollzeit.

Anla­ge zu groß
Defi­zi­tär sind wir immer noch“, sagt Fresh-Geschäfts­füh­rer Andre­as Mäck, ein Umwelt­wis­sen­schaft­ler, der sei­nen Dok­tor in Land­au gemacht hat und sich dort auch im Natur­schutz­bei­rat enga­giert. Die Anla­gen­grö­ße ist nach wie vor das Pro­blem, tech­nisch wie kauf­män­nisch. „Wür­den wir aus­schließ­lich direkt ver­kau­fen, müss­ten wir meh­re­re Tau­send Pake­te am Tag packen und ver­schi­cken. Das geht nicht.“ So gibt es zwar einen Werks­ver­kauf, aber für die gro­ße Mas­se sind Han­dels­ket­ten im Boot, die mit dem fri­schen See­fisch aus dem Inland ins­be­son­de­re in Groß­städ­ten Aktio­nen fah­ren. Ihr Vor­teil: Der Fisch ist laut Mäck so frisch, dass er zum Roh­ver­zehr emp­foh­len wer­den kann und sich in der Fisch­the­ke län­ger hält als im Meer gefan­ge­ner. Der Nach­teil für die Völk­lin­ger: Die Ket­ten ver­die­nen mit.

Wenn die Tech­nik im Griff sei, sei eine von natür­li­chen Gewäs­sern abge­kop­pel­te Aqua­kul­tur ein Bei­trag zu einer bes­se­ren Welt, glaubt Mäck. „Wir lau­fen auf einen Eng­pass zu, weil wir immer mehr Men­schen ernäh­ren und gleich­zei­tig die Öko­sys­te­me und Wild­be­stän­de ent­las­ten müssen.“

Aus einer Land­au­er Stu­den­ten-WG
Noch ein­mal Land­au und noch ein Mäck: Am Rand des Pfäl­zer­walds wid­met sich der jün­ge­re Bru­der Flo­ri­an als einer von zwei Geschäfts­füh­rern von Senect Aquacul­tu­re Tech­no­lo­gies eben­falls der kon­trol­lier­ten Auf­zucht von Fischen, aber vor allem mit Blick aufs Süß­was­ser. „Forel­len­züch­ter lei­den unter dem Kli­ma­wan­del, das Was­ser in natür­li­chen Tei­chen wird zu warm, es wird all­ge­mein zu tro­cken“, beschreibt er den Hin­ter­grund. „Dazu kom­men die natür­li­chen Fein­de wie Fisch­rei­her und Otter, die ihren Teil der Forel­len abfischen.“

Die Fir­ma hat ihren Kern in Land­au­er Stu­den­ten-WGs. Sie ist seit fünf Jah­ren mit smar­ten, dezen­tra­len Steue­rungs­kon­zep­ten für Fisch­zucht-Kreis­lauf­an­la­gen am Markt. „Bei uns ist nicht ein ein­zi­ger gro­ßer Schalt­schrank Herz der Anla­ge“, erklärt Mäck. Die dezen­tra­len Steue­run­gen aus Land­au sind nach Unter­neh­mens­an­ga­ben welt­weit im Ein­satz: in Katz­wei­ler im Lau­ter­tal eben­so wie in Aus­tra­li­en, Sin­ga­pur und Finnland. 

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