EXIST-Erfolge: SEAWATER Cubes
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, August 2021
„Es ist wichtig, so schnell wie es geht, mit Kunden in Kontakt zu kommen und Feedback zu seinem Produkt und zum Geschäftsmodell einzusammeln.“
Interview mit Carolin Ackermann
Regionale Lebensmittel sind derzeit in aller Munde. Das war auch den beiden damaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Christian Steinbach (heute 30 Jahre alt) und Kai Wagner (32), klar geworden. Sie mussten 2017 ihr Forschungsprojekt zusammen mit einer großen Meeresfischzuchtanlage aufgeben, weil der Betreiber, ein externer Partner der htw saar, pleite gemacht hatte. Jedoch erkannten die beiden Ingenieure das Potential der Technologie. Sie entwickelten diese Idee weiter, konstruierten ein wesentlich kleineres, geschlossenes System und bewarben sich um den EXIST-Forschungstransfer. Mit Erfolg. Sie erhielten eine zweijährige Förderung sowie eine sechsmonatige Aufstockung. Einige Monate später stieß die BWL-Studentin Carolin Ackermann dazu. Sie sollte die Wirtschaftlichkeit von SEAWATER Cubes sicherstellen. Mithilfe des EXIST-Forschungstransfers konnte das Team einen Prototyp bauen und das Unternehmen – mit einer Corona bedingten Erweiterung der EXIST-Förderung – durch die Pandemie steuern. Im kommenden Jahr wollen sie ihre erste Anlage in Deutschland bauen und in den darauffolgenden die internationalen Märkte erobern. Wir haben mit der Geschäftsführerin Carolin Ackermann über die Herausforderungen bei der Gründung und die Perspektiven des Unternehmens gesprochen.
Frau Ackermann, vom Saarland bis ans Meer sind es etwa 500 Kilometer. Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet dort eine Meeresfischzuchtanlage zu entwickeln?
Ackermann: „Das ist historisch gewachsen. Hier wurde vor einigen Jahren – politisch motiviert – eine sehr große Inland-Fischzuchtanlage gebaut. Die wurde forschungsseitig von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes betreut, an der wir drei studiert haben. Meine beiden Co-Gründer haben dort während ihres Studiums – und auch danach –Forschungsarbeit betrieben. Dabei sind sie mit dem Thema in Berührung gekommen. Sie haben gelernt, wie man solch geschlossene Systeme entwickelt und optimiert. Die Anlage konnte etwa hundert Mal so viel produzieren wie unsere jetzt. Der damalige Betreiber hat es aber nicht geschafft, den Vertrieb für diese großen Mengen auf die Reihe zu bekommen. Als das Unternehmen in die Insolvenz rutschte, haben meine beiden Ingenieure beschlossen, ein kleineres, tragfähiges Konzept zu entwickeln und zu standardisieren.“
Was macht Sie optimistisch, dass Sie mit Ihrem System erfolgreicher sein werden?
Ackermann: „Klimawandel, Überfischung, Mikroplastik in den Meeren: Das alles bedroht die Fischbestände. Dieses Thema bewegt die Menschen und macht sie bewusster in ihrem Lebensmittelkonsum. Es gibt kaum noch Meeresregionen, in denen die Bedingungen optimal sind. Für weite Teile der Weltbevölkerung ist Fisch ein sehr wichtiges Grundnahrungsmittel. Aktuell stammt jeder zweite Fisch aus der Zucht. Doch die Fische werden überwiegend in Netzkäfigen im Meer gezüchtet. Dabei wird wenig Rücksicht auf die Umwelt genommen. Das wollen wir besser machen. Deshalb entkoppeln wir die Aquakultur vom Meer und verlegen sie ins Inland. Dafür haben wir unser geschlossenes System entwickelt, das in Schiffscontainern verbaut wird. Das ist ressourcenschonend und belastet die Umwelt nicht. Wir versorgen Kunden in einem Umkreis von 50 Kilometern. Das reduziert Transportwege und ist nachhaltig. Außerdem sind wir keine Biologen oder Fischwirte. Meine Co-Gründer sind Prozess- und Automatisierungstechniker, ich selbst habe BWL studiert. Daher schauen wir aus einer anderen Perspektive auf das Thema und gehen in vielen Bereichen neue Wege.“
Sie vermarkten sehr lokal. Das Problem mit dem Rückgang der Bestände in den Meeren ist ein globales. Denken Sie das internationale Geschäft im Voraus schon mit?
Ackermann: „Auf jeden Fall. Die Vermarktung unseres Fischs betreiben wir ja nur, um zu zeigen, dass es funktioniert. 21.000 Tiere züchten wir pro Jahr. Unser Geschäftsmodell ist aber der Bau und Vertrieb der Anlagensysteme. Wir vermarkten die Cubes und begleiten unsere Kunden auch beim Genehmigungsprozess. Nach der Installation bieten wir Serviceleistungen, damit die Anlagen erfolgreich laufen. Wir organisieren die Belieferung mit Rohstoffen wie Jungfischen, Futter und Salz. Ich sehe unsere Produktionsanlagen später in der ganzen Welt stehen. Wir wollen ein globales Netz aus dezentralen Standorten knüpfen, damit die Menschen überall lokal frischen Meeresfisch kaufen können.“
Die Anlage ist also in einem Container installiert?
Ackermann: „Ja. Sie werden in drei Schiffscontainern verbaut. Diese dienen uns als Gebäude, in das wir alle Filter, das Becken und die Steuerung einbauen. Dann wird das Ganze vormontiert, zum Kunden transportiert und dort nur noch „verheiratet“.“
Wer sind Ihre potentiellen Kunden?
Ackermann: „Vor allem Landwirte, die eine Möglichkeit suchen, zusätzliche Geschäftsfelder aufzubauen, weil sie mit der Wirtschaftlichkeit der traditionellen Viehzucht nicht mehr zufrieden sind. Die andere Gruppe sind Unternehmer, die in nachhaltige Geschäftsmodelle investieren wollen.“
Verhandeln Sie auch schon mit internationalen Kunden?
Ackermann: „So weit sind wir noch nicht. Wir haben gedacht, dass das etwas schneller geht. Aber die Pandemie hat uns natürlich ein ganzes Stück zurückgeworfen, indem unser erstes Pilotprojekt geplatzt ist. Außerdem müssen wir bis heute große Hürden überwinden, was den Markteintritt angeht. Das haben wir anfangs etwas unterschätzt. Wir planen für das nächste Jahr, die ersten Anlagen mit Pilotkunden aufzustellen. Auch in Österreich haben wir bereits einen Interessenten. Die internationale Expansion wird wohl noch zwei, drei Jahre dauern.“
Was macht Ihre Systemanlage so besonders?
Ackermann: „Sowohl mechanische als auch biologische Filterstufen sorgen dafür, dass wir 99 Prozent unseres Wassers recyceln können. Daneben ist Kern unseres Produktes die Automatisierung, die wir selbst entwickelt haben. Die Software beinhaltet das Fischwissen und verschiedene Modelle, sie steuert alle Prozesse vollautomatisch. Deshalb ist der Aufwand für den Betreiber sehr gering und er muss kein Experte sein, um in die Fischzucht einsteigen zu können.“
Welche Fischarten züchten Sie in Ihrem Becken?
Ackermann: „Grundsätzlich eignet sich die Anlage für alle Salzwasserfische bis zu einer gewissen Größe. Bislang züchten wir hauptsächlich Wolfsbarsch, haben aber auch schon Barramundi getestet. Wir planen gerade im Hinblick auf die internationale Expansion, auf exotische Arten zurückzugreifen, die normalerweise von weit her eingeflogen werden müssen. Auch die können wir dann vor Ort züchten. Das spart wegen wegfallender Transportkosten zusätzliche Ressourcen. Wichtig ist, dass die Fische einen Schwarm ausbilden können. Das entspricht ihrem natürlichen Verhalten. Das geht in unserem Becken sehr gut. Wir können ihnen einen sehr natürlichen Lebensraum zur Verfügung stellen, und sie leben fernab von Schwermetallen, Öl und Mikroplastik. Im Meer müssen die Fische wegen der Erwärmung teilweise immer weit nach Norden ziehen. In unseren Becken können wir perfekte Lebensbedingungen für die unterschiedlichsten Fischarten schaffen. Weil wir die Qualität eines gesunden Meeres kopieren, wachsen die Fische in klarem Wasser auf. Deshalb entspricht ihre Qualität der von Fischen aus einem gesunden Meer. Da das Meer aber nicht mehr gesund ist, ist unser Fisch also qualitativ hochwertiger als der handelsübliche.“
Wie groß ist das Interesse unter Investoren an Ihrem Business?
Ackermann: „Wir haben schnell zwei Business Angels in die Firma aufgenommen. In einer zweiten Runde kam ein saarländischen Wagniskapital-Investor an Bord. Derzeit befinden wir uns wieder in einer Finanzierungsrunde. Diesmal suchen wir einen strategischen Partner, der uns beim Anlagenbau hilft und im besten Fall auch international vernetzt ist. Wir Gründer halten zusammen noch die Mehrheit der Anteile. Nach der nächsten Runde wird das wohl noch so bleiben. Welche Anteilsverschiebung dann die folgenden Runden bringen, wird sich noch zeigen.“
Sie haben von 2017 bis 2021 in zwei Phasen EXIST-Forschungstransfer erhalten. Inwiefern war das wichtig für den Aufbau des Unternehmens?
Ackermann: „Ohne EXIST gäbe es das Unternehmen schlicht und einfach nicht. Wir sind sehr dankbar für diese Unterstützung: nicht nur für die finanzielle Hilfe, sondern auch für Expertise des EXIST-Teams, die intensive Betreuung durch fachliche Experten und deren Kontakte. Wir haben sogar eine Corona-bedingte Verlängerung erhalten. Ohne die hätten wir die Pandemie nicht überstanden. Diese Art der Förderung ist essenziell für High-Tech Ausgründungen aus Hochschulen. Die Forschungsgelder sind genau dafür da, um risikoreiche Innovationen zu unterstützen und ermöglichen es, Prototypen zu bauen. Ohne sie würde Deutschland den technologischen Anschluss in relevanten Zukunftsfeldern verlieren.“
Was war bei der Gründung die größte Herausforderung?
Ackermann: „Das war und ist ganz sicher der Markteintritt. Wir haben das total unterschätzt. Es gibt gerade in Deutschland viele bürokratische Hürden, die Hardware Start-ups wie uns hemmen. Dabei geht es um Baugenehmigungen, Verfahrenszulassungen und Fördergelder für unsere Kunden. Das ist wegen des Föderalismus in den einzelnen Bundesländern alles unterschiedlich geregelt. Es kostet sehr viel Zeit, einerseits in der Einarbeitung, aber auch in der Umsetzung mit den Kunden zusammen. Und den ersten zu finden, der so eine Anlage kauft, ist ebenfalls eine riesige Herausforderung.“
Am Anfang hatten sie nicht viel Ahnung vom Geschäft. Wie findet man sich in die Rolle der Unternehmerin hinein?
Ackermann: „Bei mir liegt das ein bisschen in den Genen. Mein Vater ist auch Unternehmer. Von daher bin ich von Beginn an schon sehr bewusst und reflektiert an die Rolle herangegangen. Daneben hilft es sehr viel, sich mit anderen Gründern auszutauschen. Und man wächst an seinen Aufgaben. Wir haben das sehr gut hinbekommen. Inzwischen haben wir zehn Mitarbeiter. Wir bauen gerade verschiedenen Themen auf, die rund um unser Kernprodukt mitgeliefert werden müssen. Auch damit haben wir nicht gerechnet: dass so viele Themen auf uns zukommen. Jetzt ist das Ziel, die erste Anlage zu verkaufen.“
Was würden sie anderen Gründenden raten?
Ackermann: „Früh an den Markt zu gehen. Deshalb haben wir damals parallel zum EXIST-Forschungstransfer ausgegründet. Es ist wichtig, so schnell wie es geht, mit Kunden in Kontakt zu kommen und Feedback zu seinem Produkt und zum Geschäftsmodell einzusammeln. Denn die wenigsten haben von Beginn an den perfekten Product-Market-Fit. Es gibt ja den Spruch: Lieber unperfekt starten, als perfekt zu warten. Das hat sich für uns absolut bewahrheitet. Und Marketing ist wichtig, Kommunikation, früh seine Geschichte zu erzählen, Bekanntheit zu erlangen, Reichweite zu generieren, Netzwerke zu knüpfen. Auch dabei war die Unterstützung des EXIST-Teams extrem hilfreich.“
Wo sehen Sie ihr Unternehmen in fünf Jahren?
Ackermann: „Auf jeden Fall erfolgreich am Markt – auch international. In Deutschland wollen wir es dann geschafft haben, im Bereich nachhaltiger Lebensmittel etwas zu bewegen und unseren Teil dazu beizutragen, dass die Fischversorgung umweltfreundlicher wird. Wir haben vorerst das Ziel, allein bei Arten wie Wolfsbarsch und Dorade einen Marktanteil von zehn Prozent erreichen. Dann gäbe es allein in Deutschland einen Markt für rund 100 Anlagen.“
Ist ein Verkauf später eine Option?
Ackermann: „So weit denke ich nicht. Das hängt immer davon ab, wie die nächsten Jahre laufen. Je mehr Finanzierungsrunden man braucht, desto mehr Anteile muss man als Gründer abgeben. Dann befindet man sich zwangsläufig auf dem Weg zum Exit. Zumindest bei Tech-Ausgründungen ist das der klassische Verlauf. Unser Thema ist sehr emotional. Man muss auch mit Überzeugung und einige Jahre dabei sein, damit man etwas bewegen kann im Markt. Im Moment ist der Plan, langfristig ein Franchise-System aufzubauen, weil wir gemerkt haben, dass die Kunden auch Marketing- und Vertriebsunterstützung brauchen. Das wollen wir standardisieren. Über alles weitere denken wir jetzt noch nicht nach.“
Abschließende Frage: Welcher ist ihr Lieblingsfisch?
Ackermann: „Das ist in der Tat der Wolfsbarsch. Er ist sehr ansehnlich und dazu noch schmackhaft und mager.“
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