Gipfelstürmer – Geist und Geld
Süddeutsche Zeitung
Das Saarland steckt im Strukturwandel. Alte Industrien schwinden. Es braucht Start-ups, die neue Jobs schaffen.
Ammar Alkassar weiß, wie gründen geht. Er hat selbst mal gegründet – 2005 die auf Sicherheitstechnologien spezialisierte Firma Sirrix. Alkassar hat an der Universität des Saarlandes Informatik und Nachrichtentechnik studiert. 2015 verkaufte er Sirrix an den Münchner Konzern Rohde & Schwarz. Eine Weile war Alkassar dann dort Manager, Ende 2017 schied er aus. Saarlands neuer Ministerpräsident Tobias Hans holte Alkassar 2018 als Bevollmächtigten für Innovation und Strategie.
Alkassar versteht die Gründer Carolin Ackermann und Max Ulbrich auf dem Podium des Gipfelstürmer-Salons der Süddeutschen Zeitung und der Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer (KWT) der Universität des Saarlandes, genauso wie Axel Koch, Leiter des Dezernats FT: Forschungsmanagement und Transfer, der Uni, zu dem auch das KWT gehört. „Wir haben im Bundesvergleich eine recht große Zahl an wissens- und technologiebasierten Gründungen. Aber die große Herausforderung ist: Die wachsen nicht schnell“, sagt Koch:
„Unser Ziel muss sein, in den nächsten Jahrzehnten eine große Zahl von Arbeitsplätzen zu schaffen.“
Koch verweist auf den Strukturwandel. Noch prägen alte Industrien – Kohle, Stahl und Autos – das Saarland. Aber die stehen unter Druck und streichen Stellen. Koch und Alkassar wollen die Start-ups beschleunigen, damit möglichst schnell neue Jobs entstehen.
(Axel Koch, Carolin Ackermann, Ammar Alkassar und Max Ulbrich (von links) | Foto: Elisabeth Dostert
Innovationen seien eine der besten Instrumente, den technologischen Wandel zu betreiben und Wertschöpfung ins Saarland zu generieren, da spielten Gründungen eine ganz erhebliche Rolle, sagt Alkassar:
„Große Sprüngen schaffen wir nur mit Innovationen. Evolution reicht nicht.“
Zu den Start-ups, die das Zeug zu Sprüngen haben, zählen Fanomena und Seawater Cubes.
Seawater Cubes hat eine kompakte Fischzuchtanlage entwickelt, um im Inland Meeresfische automatisiert zu produzieren. „Wir sind vor dem Markteintritt“, erzählt Gründerin Ackermann. Sie hat Betriebswirtschaft studiert. Ihre Mitgründer, die beiden Ingenieure Christian Steinbach und Kai Wagner, haben sich schon als wissenschaftliche Mitarbeiter im Labor Aquakultur der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) des Saarlandes mit dem Thema beschäftigt.
Noch größere Sprünge könnte Fanomena machen. „Unsere Software ermöglicht es Unternehmen, ihre Zielgruppe zu aktivieren“, sagt Mitgründer Ulbrich. Jeden Tag, erklärt er, prasselten weit mehr als 10 000 Meldungen von Unternehmen auf den Konsumenten ein. „80 Prozent nehmen wir gar nicht mehr wahr“, sagt er. Das sei ein Problem für die Firmen, da sie ihre Zielgruppe nicht mehr erreichten. Das Kernthema für Fanomena sei Relevanz. „Wir spielen den richtigen Inhalt zur richtigen Zeit an die richtige Person aus.“
Die Diskutanten beschönigen nichts. Das Thema Gründen sei in einem Bundesland, das eher von Arbeitern und Angestellten dominiert sei, auch ein Sensibilisierungsthema, sagt Gründerberater Koch. Es fehlen Vorbilder. Er versucht, jeden „auf dem Campus“ für das Thema zu begeistern, „wohlwissend, dass viele gar nicht gründungsgeeignet sind, weil sie nicht die nötige Frustrationstoleranz und Risikofreudigkeit mitbringen“. Ackermann und Ulbrich sehen sich als „Paradiesvögel“. In ihrem Umfeld gibt es wenige Gründer. Man müsse das Thema Gründen und Unternehmertum schon in die Schulen bringen, so Ackermann, deren Vater Unternehmer ist. Auch in der Uni in Frankfurt habe sie keinen „Gründerspirit“ mitbekommen.